Dazu noch ein Interview mit der Band:
Die abgedrehten Italiener von Infernal Poetry haben mit Nervous System Failure ja ein recht beachtliches Werk veröffentlicht, an dem sich bekanntlich die Geister scheiden. Nun hatte der sonst so interview-faule Redakteur die Gelegenheit, mit Gitarrist Daniele und Drummer Alessandro ein paar Worte über ihre Musik zu wechseln und driftete dabei eher ungewollt in den Drogensumpf ab...
HH: Servus die Damen, wie geht's so?
Alessandro: Uns geht's schlecht. Aber es könnte schlechter sein!
Daniele: Uns geht's gut. Aber es könnte besser sein!
HH: Ihr habt gerade euren neuen Longplayer Nervous System Failure veröffentlicht und zumindest bei mir kam das Album ganz vorzüglich an. Wie geht es euch selbst mit der CD?
Alessandro: Wir sind sehr stolz darauf. Nach Beendigung der Mix- und Nachproduktionsphase und nachdem wir uns die Songs eine Million Mal angehört haben (weil wir den Kompositions- und Aufnahmeprozess peinlich genau verfolgt haben) sind wir sehr zufrieden mit dem endgültigen Resultat. Über all die Jahre haben wir nach einer persönlichen Form der Musik gesucht, die unsere mannigfaltigen Bedürfnisse befriedigen kann, sowohl in geistiger Hinsicht als auch was die physischen Aspekte der Musik im Allgemeinen betrifft. Wir wollen stimuliert werden und denjenigen stimulieren, der uns hört, um ihm zu erlauben, neue musikalische Horizonte zu entdecken oder ihm zumindest Zweifel über seine Existenz ins Denken zu injizieren. Darüber hinaus kann das Album einen ganz speziellen Sound vorweisen, der sich von Großteil der stereotypischen Produktionen unterscheidet, die derzeit den Markt überschwemmen. Das ist ein maßgeblicher Aspekt von Nervous System Failure.
Daniele: Das unterschreibe ich mal.
HH: Habt ihr schon Reaktionen von Fans und/oder Presse auf das Album erhalten und wenn ja: Wie waren die bisher?
Alessandro: Bis jetzt können wir sagen, dass die Tendenz dahin geht, dass die Rezensenten das Werk entweder total lieben oder völlig hassen. Wir bekommen sehr positives Feedback von europäischen Webzines und Magazinen, aber wir haben auch einiges an Mist von humorlosen Idioten zu schlucken, die Anstoß an unserem Intro "User Advisory" (so etwas wie eine ironische Warnung vor der unkonventionellen Art der Musik, die diese Scheibe enthält) nehmen und die, davon genervt, das ganze Werk diskreditieren, indem sie uns als "eine Horde von selbstgefälligen Gockeln" bezeichnen und sich darüber wundern, "warum sie sich bemühen, ihre Musik zu veröffentlichen, statt sie als Wichsvorlage zu verwenden"... Dabei war ich mir sicher, dass Engländer mehr Humor hätten!
Daniele: Es ist definitiv ein "liebe es oder hasse es"-Album. Komplex sicherlich, aber auch mit einer Menge Inhalt. Besser eine Menge 8/9/10 Punkte in vielen Reviews zu bekommen in Verbindung mit ein paar bedeutungslosen 3/10 von ein paar 15-jährigen Schreiberlingen, als überall 7/10 zu erhalten... Wir hassen das Durchschnittliche.
HH: Die Band besteht ja nun schon seit zwölf Jahren und hat in dieser Zeit schon einige Tonträger veröffentlicht (Den Satz haben die Herren wohl missverstanden - Hannes). Wie würdet ihr die aktuelle Scheibe in eurer Discografie einordnen?
Alessandro: Nun, das ist nicht ganz richtig... Wir haben drei Full-Length-Alben veröffentlicht (Not Light But Rather Visible Darkness 2001, Beholding The Unpure 2005 und nun Nervous System Failure), dazu noch eine Split-CD mit Dark Lunacy (Twice, veröffentlicht 2003) und eine EP mit Namen Nervous System Checking 2007, eine Art Limited Edition mit vier Songs der CD, aber auf andere Art und Weise aufgenommen. Die EP war so etwas wie ein Appetizer, der den Weg für das Album ebnen sollte, aber wir waren gezwungen, wegen unfairer Vorschläge seitens von Labels fast zwei Jahre zu verlieren. Ich würde dieses Album als das beste einordnen, das wir in unserer bisherigen Karriere gemacht haben. Es ist nicht immer wahr, dass das letzte Werk automatisch das Beste ist, aber wir kämpfen tagtäglich darum, bei jedem Release einen Schritt voranzukommen.
Daniele: Das kreativste, ungewöhnlichste, hysterischste... und trotzdem hat es starke Hooks und viel Groove. Ach ja, hast du bemerkt, dass wir in jedem Song sogar einen Refrain haben?
HH: So wirklich in ein Schema lässt sich der Sound der Band ja nicht pressen. Wie wichtig ist euch dieses Alleinstellungsmerkmal?
Alessandro: Ja, unser Album ist schwer zu katalogisieren, sowohl was den Sound als auch die Kompositionen angeht. Wir hatten Glück, davon profitieren zu können, im gleichen Studio aufnehmen zu können, in dem auch unser Sänger Paolo Ojetti als Sound-Techniker arbeitet. Deswegen hatten wir die totale Kontrolle bei der Sound-Entwicklung und den Experimenten mit dem Klangbild. Nichtsdestotrotz haben wir nicht durchgehend im Studio gearbeitet: Manchmal mussten wir ganze Wochen oder sogar Monate warten, um wieder kostenlos ins Studio zu gelangen. Aber vielleicht haben uns gerade diese Zwangspausen und die damit verbundene Gelegenheit, über unser bisheriges Tun nachdenken zu können, die Möglichkeit gegeben, die richtigen Entscheidungen zu treffen und zu verwerfen, was nicht akzeptabel oder sinnlos war, sozusagen eine konstante Qualitätskontrolle. Ich möchte hier klarstellen, dass es nicht unser Ziel ist, ohne Rücksicht auf Verluste ein bestimmtes musikalisches Niveau zu erreichen; es entwickelt sich aus der Chemie zwischen uns, wenn wir alle unsere Ideen zusammenwerfen, um ihnen eine einzige Richtung zu geben.
Daniele: Es ist der Weg, nicht das Ziel.
HH: Ich würde jetzt nicht so weit gehen, die CD als "lustig" zu bezeichnen, eher als verschroben, aber trotzdem glaube ich, das Augenzwinkern herauszuhören, mit dem die Songs geschrieben wurden. Trügt mich mein Eindruck oder hattet ihr bei der Erschaffung des Werkes nicht doch jede Menge Spaß?
Alessandro: Absolut! Genauso, wie die Musik vielschichtig ist, ist unsere textliche Welt in viele Sinnesausrichtungen strukturiert. Wir haben gerne Spaß, wenn wir spielen und wir nehmen uns selbst nur ungern allzu ernst. Natürlich geht es uns auch um wichtige und ernste Themen: Beziehungsprobleme, menschliche Lebensverhältnisse, geistige Krankheiten, die von absurden sozialen und religiösen Regeln hervorgerufen und verstärkt werden und so weiter... Aber ich denke, der beste Weg, unsere Botschaft zu übermitteln, ist, sie mit Ironie und Doppeldeutigkeiten zu vermischen.
Daniele: Verschroben ist ein sehr passender Ausdruck. Ich denke von Anfang an verschroben, wenn ich etwas auf, für und mit meiner Gitarre komponiere. So machen es auch die anderen Bandmitglieder. Und obwohl ich ein Gitarrist bin, bearbeite ich des Öfteren die Vocals (textlich und von der Melodie her) und ich bin immer im Studio, um Paolo in seinem Herangehen ans Schauspielerische zu unterweisen. Dies ist ein ganz wichtiger Punkt, der betont sein will: Um diesen verschrobenen Zustand zu erreichen, muss alles in einer ganz speziellen Art und Weise er- und gedacht werden und das hat uns niemand beigebracht. Das haben wir selbst gelernt, indem wir Spaß im Studio hatten... Der Wendepunkt in dieser Hinsicht war bei den Aufnahmen zu "Beholding The Unpure", als wir diesen neuen Ansatz, an das Ganze heranzugehen, entdeckten: Trinke, hab Spaß, trinke, mach es auf deine Weise, trinke, hab Spaß und drücke die Daumen!
HH: Eure Art der Musik ist jetzt nicht gerade das, was ich als massenkompatibel bezeichnen würde. Setzt ihr euch damit nicht selbst ein Limit, was die Akzeptanz bei den Hörern betrifft oder denkt ihr eher, dass ihr dadurch eure eigene kleine Nische mit überschaubarer, aber treuer Fangemeinde erschaffen könnt?
Alessandro: Paradoxerweise denke ich, dass unsere Musik sehr zugänglich und vermarktbar ist. Wenn man unsere Songs analysiert, wird man schließlich oftmals die typischen Strukturen eines Rock Songs wiederfinden, Pre-Chorus und Chorus, Specials und Bridges. Man kann alle Stücke voneinander unterscheiden und du kannst den speziellen Hook eines Songs fühlen. Die Wahrheit ist, dass Labels keine außergewöhnliche Musik unterstützen und dafür Geld in Klone ohne eigene Identität investieren. Sie bevorzugen, Trends zu folgen und auszubeuten anstatt neue zu erschaffen.
Daniele: Es gibt Bands, die viel komplexer als wir sind. Denk nur mal an die Mathcore-Szene, deswegen sehe ich dieses Problem nicht.. oder es gibt ein Problem, weil wir nicht aus den USA sind und der Normalhörer Probleme mit unkonventionellen italienischen Bands hat. Aber das wirkliche Problem ist, dass die Masse der Leute ihre Fähigkeit hinzuhören verloren haben... 95 Prozent der Metal-Produktionen besteht aus einfachen oder standardisierten Strukturen, flachen Arrangements, risikolosen Produktionen... in dieser verdammten MySpace-Band-Ära hat jeder Musik anzubieten, jeder will gehört werden, aber... wer hört das?
HH: Muss man selbst einen etwas seltsamen Gemütszustand erreicht haben, um Stücke wie die euren zu schreiben und zu spielen oder könnt ihr das auch in einer ganz normalen geistigen Verfassung bewerkstelligen?
Daniele: Natürlich, die Wahrheit ist, dass unser Nervensystem schon vor vielen Jahren versagt hat!
HH: Nervous System Failure war ja euer erstes Album für Copro/Casket Records. Hat sich dadurch im Vergleich zu den älteren Scheiben für euch etwas verändert?
Alessandro: Das Wichtigste ist, dass wir nun in den Läden wesentlich präsenter sind, genauso wie im Label-Netz der Magazine, im und außerhalb der Internets. Der Rest ist ziemlich gleich geblieben: Darum zu kämpfen, Touren selbst zu managen, extra Promotion zu bekommen und so weiter... Wir haben uns darüber nichts vorgemacht und wir haben immer alles selbst gemacht und dabei ganz gute Ergebnisse erzielt.
Daniele: Wie wir auf dem ersten Track der CD von uns geben... "Same old story, same old situation..."
HH: Wie sehen eure Pläne für die nähere Zukunft aus? Sind Tour-Aktivitäten geplant und würden diese die Band auch in deutsche oder noch besser bayrische Gefilde bringen?
Alessandro: Wir sind gerade dabei, Material für das nächste Album zu schreiben. Wir entwickeln weiter, was wir mit Nervous System Failure erreicht haben, eine neue Art, bildlich zu komponieren: Wie kann ich rhythmisch "die plumpe Fortbewegungsweise eines fetten Psychopathen" beschreiben? Was Touren und Live-Aktivitäten angeht, arrangieren wir gerade kurze, aber häufig stattfindende Mini-Touren hier in Italien. Auswärts würden wir gerne die Bühne mit Bands teilen, die deren musikalische Herangehensweise der unseren nicht unähnlich ist und die auch ein gutes Publikum anziehen. In München haben wir bereits 2006 zusammen mit Dismember im Titanic City gespielt und wir würden sicherlich gerne wieder kommen. Aufzutreten ist für uns aus zwei Gründen wichtig: Erstens brauchen wir es, auf der Bühne Popo zu treten und zweitens ist es für Underground-Bands wie Infernal Poetry unerlässlich, CDs und Merchandise-Kram bei Konzerten zu verkaufen, um uns finanziell wieder zu erholen und das Geld wieder in CD-Produktionen zu investieren, die Miete für den Übungsraum zu bezahlen, die Instrumente zu unterhalten... Es ist einfach notwendig, um menschlich und materiell zu überleben.
Daniele: Hey Michael, warum arrangierst du keine Gig für uns in München? (Weil wir kein Konzertveranstalter sind - Kara)
HH: Wenn man Bands mit Medikamenten (da hätte ich das Wort "Drugs" wohl besser erklären sollen - Hannes) vergleichen würde, welches wäre dann das entsprechende Mittel für Infernal Poetry?
Alessandro: Rotwein.
Daniele: Magic Mushrooms. Es ist an dir, du kannst es tun oder lassen. Deine Entscheidung.
HH: Dann bleibt mir nur, euch für eure Zeit zu danken, noch viel Erfolg zu wünschen und zu hoffen, dass ihr weiterhin so schräg bleibt!
Alessandro: Wir begrüßen euer Interesse für unsere Musik und bedanken uns für die Möglichkeit, dafür werben zu können. Wir möchten unseren Unterstützern sagen: Kauft unsere CDs direkt von uns (schreibt an
infernalpoetry@infernalpoetry.com oder geht zu
http://www.myspace.com/infernalpoetry). Ihr werdet ein wundervolles Kunstwerk genießen können und erlaubt uns damit, weiter Musik zu machen.
Daniele: Stay Nervous!
Hannes