04.04.2004, 11:22
Zitat:Nachdem der Fraunhofer-Ableger Coding Technologies im Auftrag von Thomson Multimedia mit der Spectral Band Replication (SBR) fuer eine erhebliche Effizienzsteigerung bei Bitraten unterhalb von 64 kBit/s sorgte, verhilft Differential MP3 (dMP3) dem technisch angestaubten Kompressionsformat MP3 zu einem weiteren Performance-Schub.
Die urspruenglich aus dem franzoesischen Tracker- und Modboard Tuilë-8 entstammende MP3-Modifikation besinnt sich auf die Tugenden der Anfaenge elektronischer Musik. Statt identisch oder nahezu identisch wiederholte Passagen wie Refrains und gesampelte Sequenzen bei jedem Auftreten neu zu kodieren, legt dMP3 diese in einer Sprungtabelle am Beginn der MP3-Datei ab und greift beim Abspielen auf diese Sequenz zu. Unterscheiden sich die Samples geringfuegig, speichert dMP3 die Huffman-kodierte Differenz zum Referenzsample ab.
Bei vielen aktuellen Produktionen -- beispielsweise bei vielen Songs aus den Pop-Charts, Trance und House-Musik --, die tatsaechlich exakt uebereinstimmende Samples verwenden, laesst sich gegenueber "normalem MP3" mitunter bis zu 30 Prozent des Speicherplatzes einsparen, bei Trance und Techno mitunter gar 70 Prozent -- wohlgemerkt ohne Qualitaetsverlust gegenueber Standard-MP3s. Handgemachte Rockmusik profitiert dagegen in der Regel kaum von dMP3-Kodierung. Mitunter sind die resultierenden Songs sogar groesser als "normale" MP3s gleicher Bitrate, weil die Verwaltung der Sprungtabellen noch nicht optimiert ist.
Die Idee fuer dMP3 ist quasi eine Reminiszenz an die 16-Bit-aera: Weil MIDI ohne gute Software-Instrumente einfach nur trauriges Gepiepe produzierte, entwickelte sich die Tracker/Mod-Szene, die in der 16-Bit-aera ihren Hoehepunkt erlebte. Programme wie Screamtracker unter DOS nutzten kurze Samples, die mit nicht unerheblichem "Programmieraufwand" zu Songs verwoben wurden.
Wer nun fuerchtet, man benoetige zum Abspielen von dMP3s ebenso wie bei MOD-Dateien oder MP3Pro einen anderen MP3-Player, der kann beruhigt sein. Tatsaechlich benoetigen Winamp, Foobar2000 (beide fuer Windows) und XMMS (Linux) zum Abspielen der dMP3 nicht einmal ein Plug-in, weil die verwendeten MP3-Decoder intelligent genug programmiert sind, um die Sprungtabellen auszuwerten. Einzig fuer iTunes unter Mac OS X benoetigt man ein Plug-in, weil Apple offenbar "zu standardkonform" programmiert hat. Selbst mobile MP3-Player spielen die dMP3s, allerdings koennen die meisten aus Speicherplatzgruenden nur den ersten Eintrag in der Sprungtabelle auswerten, sodass man tatsaechlich das exakt gleiche Sample zu hoeren bekommt, auch wenn weitere Modifikationen vorliegen -- mitunter klingt das etwas merkwuerdig.
Inzwischen interessieren sich zunaechst vorrangig mehrere franzoesische Internet-Labels, die elektronische Musik vertreiben, fuer dMP3s. Sie wollen diese MP3-Variante als Download anbieten, um Bandbreite zu sparen. Sollte sich der Gebrauch von dMP3 ueber nicht-kommerzielle Grenzen hinaus ausbreiten, ergaeben sich indes interessante Lizenzfragen. So muessen Kuenstler, die Samples aus anderen Songs verwenden, bislang anteilig fuer die Gesamtlaenge der verwendeten Sounds GEMA-Gebuehren abfuehren. Bei dMP3 wird jedes Samples aber nachweislich meist nur einmal verwendet, entsprechend muessten die Kuenstler auch geringere Urheberpauschalen entrichten. Auch Betreiber von Techno-MP3-Radios koennten auf die Idee verfallen, ebenfalls geringere GEMA-Abgaben zahlen zu wollen.